Das Motto des heutigen Zeitgeistes, „schneller, höher, weiter“, hat längst auch die Weinbranche erreicht und zeigt sich deutlich in einigen Weinbewertungen. Es gilt inzwischen fast als verpönt, Weine unter einer bestimmten Punktezahl zu empfehlen. Sowohl viele Weingüter als auch Konsumenten streben nur noch nach Spitzenbewertungen, was dazu führen kann, dass weniger bekannte Weingüter in den Hintergrund geraten.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sämtliche Weine, die in Print- und Onlinemedien beschrieben oder beworben werden, neben den individuellen Verkostungsnotizen auch zusätzlich bewertet werden. Beliebt dabei sind Punkte (100, 20, 5), Symbole, wie Gläser (Gambero Rosso), Sterne (Decanter) oder Trauben. Zu den Symbolen zählen auch Medaillen (Gold, Silber, Bronze), die aufgrund ihrer hohen Zuordenbarkeit sehr beliebt sind. Jedoch sind die Vielzahl an Bewertungssystemen nahezu ein unüberschaubares Unterfangen, denn jeder Weinkritikerin bevorzugt unterschiedliche Bewertungssysteme, wobei das 100-Punkte System (Robert Parker, wein.pur, Falstaff) international eine breite Zustimmung findet. 20-Punkte Bewertungssysteme (René Gabriel, Gault-Millau, Vinaria) haben vor allem in Europa ihren Fixplatz gefunden.
Vergebene Punkte sind für Leserinnen einfach zuzuordnen. Symbole erfordern schon mehr Erklärungsbedarf. Des Weiteren sind Weinbewertungen hinter einer symbolischen Bildsprache sehr vereinfacht dargestellt, jedoch zu ihrem großen Vorteil emotional schneller erfassbar. Das mag wohl eines der Hauptgründe sein, warum einige österreichische Fachmedien (wein.pur, Falstaff, Vinaria) sowohl mit Punkten als auch mit Symbolen, wie Gläser oder Sternen, arbeiten. So weit, so gut, jedoch ist jede Bewertung nur so präzise, wie die zugrundeliegenden Daten, mit denen sie gefüttert wird. Und hier kommt auch schon die Problematik der Vergleichbarkeit auf, denn hinter jeder Weinbewertung stecken ein oder mehrere Personen mit unterschiedlichen Erfahrungswerten, Ausbildungsgraden und Präferenzen.
Natürlich dürfen sich Leserinnen eine durchaus objektive Beurteilung von Weinprofis erwarten und alles in allem werden diese Erwartungen auch erfüllt. Dennoch kann ein und derselbe Wein in verschiedenen Fachmedien unterschiedlich Bewertungen aufweisen. Warum das so ist, lässt sich kurz erklären: Es gibt keine einheitlichen internationalen Standards bzw. verbindliche Richtlinien für sensorische Bewertungskriterien (Aussehen, Geruch, Geschmack, Gesamteindruck). Daher ist es nahezu unmöglich, dass ein und derselbe Wein überall gleich bewertet ist. Selbst wenn es sich immer um die gleichen Verkoster handeln würde, hängt der Zeitpunkt der Bewertung auch immer vom Reifestadium des Weines ab. Wein ist ein Naturprodukt und mit zunehmender Reife verändert er signifikant sein Geschmackprofil.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass gewisse Unschärfen bei der Weinbewertung vom verwendeten Bewertungssystem, vom Zeitpunkt der Verkostung und vom Verkoster selbst abhängen. Um die Objektivität der Verkostung zu erhöhen wird beispielsweise bei Landesweinverkostungen (AWC) gerne auf eine Vielzahl von Verkoster*innen zurückgegriffen. Fehlende einheitliche Verkostungsstandards und vor allem ein Mangel an internationaler Verkostungserfahrung können auch hier Einfluss auf die Bewertungen nehmen (siehe Jubelergebnisse). Vor allem international top ausgebildete Persönlichkeiten (siehe Robert Parker) können wegweisend für den Erfolg oder Misserfolg eines Weines sein. Die Bewertungskriterien sind jedoch wegen des Bekanntheitsgrades, Renommees und der Erfahrung häufig nachvollziehbarer und aufgrund bestimmter Vorlieben auch vorhersehbarer.
Zu hitzigen Debatten führt auch so manche Expertenmeinung, dass nationale Weinbewertungen, basierend auf den landesspezifischen Gegebenheiten wie Terroir (Klima, Boden, Landschaft), Tradition und Stand der Technik nicht im internationalen Kontext verglichen werden können, weil jedes Land unterschiedliche Voraussetzungen im Weinbau hat. Das ist natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn man jedoch schon beim Auspflanzen - insbesondere von internationalen Rebsorten wie Chardonnay, Riesling, Merlot, oder Pinot Noir das gegebene Terroir berücksichtigt und zusätzlich handwerklichen Geschick beweist lassen sich durchaus qualitativ hochwertige und international vergleichbare Weine mit einer typischen landesspezifischen Note vinifizieren.
Das Motto des gegenwärtigen Zeitgeistes: „schneller, höher, weiter“ hat auch die Weinbranche erfasst und spiegelt sich in manchen Weinbewertungen wider. So ist es heutzutage schon beinahe verpönt, Weine unter einem gewissen Mindestpunkte-Level zu bewerben. Viele Weingüter aber auch die Konsumenten wollen nur mehr Spitzenresultate sehen, und dies kann zu einer Selektion von weniger bekannten Weingüter führen. Dabei können oder wollen sich viele Leserinnen die hochbewerteten und damit automatisch meist hochpreisigen edlen Tropfen gar nicht leisten. Vielmehr werden sehr gute, budgetschonende und alltagstaugliche Weine weit unterhalb von Spitzenbewertungen bevorzugt. Im Fachjargon werden diese auch als Preis-Leistungsweine bezeichnet, wobei gerade Österreich über eines der strengsten Weingesetze der Welt sowie über sehr hohe Qualitätsstandards verfügt und daher ein Hervorheben von Preis-Leistungsweinen nicht notwendig ist.
Alles in allem wäre der Versuch einer Vereinheitlichung bzw. Nivellierung von Bewertungsstandards – ganz im Sinne von Transparenz und Objektivität – wünschenswert. Dies liegt jedoch in weiter Ferne, da sowohl national als auch international kein Bedarf bzw. keine Notwendigkeit gegeben ist und insbesondere renommierte Weinkritikerinnen über einen derartigen Kultstatus verfügen und gerade deshalb mit ihrer Individualität beim Konsumenten und im Handel punkten.
Birgit Kowarik, erstmalig veröffentlich am 09.11.2021